Spitzenthema. Kann ich nicht mal was Einfaches haben? „Wembley 66, drin oder nicht drin“ vielleicht? Oder: „Die Geschichte des Bernsteinzimmers nach 1945“? Es ist vermutlich leichter dieses verdammte Zimmer zu finden, als eine Zusammenfassung zur Geschichte der Unfallverhütungsvorschriften im Internet.
Das erste offizielle Unfallversicherungsgesetz in Deutschland wurde 1884 erlassen und ermächtigte die Berufsgenossenschaften Unfallverhütungsvorschriften zu schaffen. Verdammt nochmal, habe ich eigentlich erwähnt, dass ich weder Jurist noch Historiker bin? Und schon gar kein Rechtshistoriker. Heißen solche Leute so? Gibt es solche Leute? Wenn ja, von wem werden die bezahlt? So viele Fragen und Wikipedia gibt sich wortkarg wie selten. Nun gut, wirklich wichtig ist, wer mich bezahlt. Und wenn derjenige sich den Wahnsinn hier wünscht, dann soll er was bekommen für sein Geld. Und vielleicht kriege ich ja doch mit Hilfe von Wikipedia und den hintersten Ecken meines Hirns etwas hin, was kein totaler Unfall wird.
Vermutlich versuchten Menschen zu allen Zeiten Unfälle zu vermeiden. Wenn beispielsweise einige Urmenschen eine Fallgrube aushoben und anschließend mit Reisig und Ästen bedeckten, hatte der Schlaue Fuchs, der auf die Idee kam, sicherlich die Unfallverhütungsvorschrift ausgegeben, da nicht drüber weg zu latschen. „Blöder Bär“, sagte der Schlaue Fuchs da vielleicht, „tritt da bitte nicht drauf, sonst verletzt du dich, kannst nicht mehr mit jagen und wir können dich und deine Alte, die Kleine Blume, mit durchziehen“. So entstanden vermutlich die ersten Unfallverhütungsvorschriften. Wodurch aber nicht sichergestellt war, dass keine Unfälle mehr passierten. Es ist beispielsweise vorstellbar, dass der Schlaue Fuchs eines Tages mit einigen Arbeitskollegen von der Jagd zurückkam, zu Kleine Blume ging und sprach: „Es tut mir sehr leid Kleine Blume, aber der Blöde Bär ist mir bei der Wildschweinjagd doch direkt in den Speer gerannt! Jetzt wird es natürlich schwierig für dich mit der Versorgung. Aber weißt du was, teile einfach mit mir das Lager und für dich wird gesorgt werden!“ Für die anderen Jagdteilnehmer ergab sich dann vielleicht direkt die Unfallverhütungsvorschrift: „Wenn du eine attraktive Gefährtin hast, dann sieh lieber zu, dass du bei der Jagd nicht in die Nähe des Speeres vom Schlauen Fuchs kommst.“ Der Schlaue Fuchs allerdings hatte die Kleine Blume dann auch erst einmal an seinem vermutlich roten Bart. Und vielleicht haben manche seiner Kollegen ihn hinter vorgehaltener Hand deshalb auch schon den Dummen Fuchs genannt. Zumindest so lange, bis unter Umständen eines Tages die Kleine Blume beim Pflücken von Brombeeren unglücklicherweise mit ihrem Rücken in einen Speer fiel. Aber insgesamt ging man in den kleinen umherstreifenden Gruppen der Steinzeit wahrscheinlich verantwortungsbewusster miteinander um, als das zu späteren Zeiten der Fall war. Denn jedes einzelne Mitglied der Gruppe kannte man persönlich und das Überleben konnte nur gemeinsam gesichert werden. Jeder Unfall schwächte die Gruppe und verringerte die eigenen Überlebenschancen.
Komplikationen kamen dann auf, als die Menschen damit aufhörten umherzustreifen. Schon in der Steinzeit begannen unsere Vorfahren feste Siedlungen zu errichten, sich zu spezialisieren, somit effizienter zu arbeiten und ein Mehrprodukt zu erwirtschaften. Das heißt, die Bauern erzielten höhere Erträge, als sie selbst verbrauchten. Da ging das ganze Theater los. Anonymität und eine unterschiedliche Bezahlung für sich unterscheidende Tätigkeiten waren die Folge. Manche Menschen konnten sich in Folge dieser Entwicklung sogar ernähren, ohne etwas mit der Nahrungsmittelerzeugung zu tun zu haben, indem sie gegen Bezahlung töteten, zählten, musizierten oder Ähnliches. Und es gab jetzt einen, der für die Verteilung des erwirtschafteten Mehrproduktes zuständig war. Häufig nannte man diesen Typen Könige und ihren Inthronisierungen gingen nicht selten Unfälle voraus. Ansonsten wurden solche Missgeschicke zu der Zeit wie auch heute sicher eher ungern gesehen, denn die Konsequenzen für Opfer und Angehörige konnten verheerend sein. Menschen, die seinerzeit nicht in der Lage waren, sich innerhalb dieser Gesellschaft zu versorgen, verkauften sich oder ihre Familie am Ende häufig in die Sklaverei. Was damals absolut legal war. Es gab nur sehr wenige Gesetze und die meisten dienten dazu, die Herrschaft des Königs zu legitimieren.
So gegen 2100 v. Chr. kam die älteste überlieferte schriftliche Rechtssammlung auf. Der Codex Ur-Nammu. Aus Unfallverhütungssicht wohl weniger relevant, regelte der Codex eher die Strafen für die elementaren Sachen: Mord, Raub, Vergewaltigung und Ehebruch. Angeblich waren von den mehr als 40 Paragraphen sogar einige dabei, die die Sklaven betrafen oder die Vernachlässigung des eigenen Grundstückes. Und es ging natürlich wieder um die Legitimation des Herrschers. Die war wichtig und wurde infolge dessen häufig von den Herrschern der Nachbarreiche angezweifelt. Und so kam es in schöner Regelmäßigkeit dazu, dass andere Könige, deren Untertanen in der Unfallverhütungsforschung schon weiter waren, die beispielsweise Helme auf dem Kopf trugen oder spezielle Schutzformationen mit Schilden bilden konnten, sie zum Arbeitsschutzwettstreit herausforderten. Die Gruppe mit den meisten Unfällen sah in der Regel ihre Niederlage im Unfallverhütungsvergleich ein und trat anschließend in die Dienste des Fortschritts. Also des Siegers. Als Sklaven.
Die nun schon mehrfach erwähnte Sklaverei muss damals sehr weit verbreitet gewesen sein und hatte vermutlich große Verdienste bei der Weiterentwicklung der Unfallverhütung. Von da an nahm nämlich der Gebieter einen persönlichen Schaden bei jedem Arbeitsunfall. Ein Sklave, der gerade von einem Ochsenkarren überfahren wurde, hatte natürlich einen deutlich geringeren Verkaufswert und eine verringerte Leistungsfähigkeit als noch am Tag zuvor, das leuchtet ja wohl ein. Und was einem selbst gehört, das pflegt man ja auch eher so ein bisschen. Kennt ja jeder selber. Wenn man das Gefühl hat, in Hundekot getreten zu sein, so inspiziert man seine Sohlen, bevor man ins eigene Auto steigt, doch ziemlich genau. Ob man das vor dem Einsteigen in ein Taxi genauso tut, das hängt dann eher von der moralischen Festigkeit eines jeden Menschen ab.
Leider waren bei weitem nicht alle Sklavenhalter moralisch gefestigt. Da sollen im Laufe der Zeit ganz schöne Banditen drunter gewesen sein. Das führte und führt dazu, dass ein gehöriger Teil der Menschen versuchte nicht in die Sklaverei zu geraten, bzw. dort wieder heraus. Verschiedene Menschenrechtsorganisationen weisen darauf hin, dass die Sklaverei in manchen Teilen der Welt noch heute ein Thema ist und es gilt, sie weiter zu bekämpfen. Was vermutlich deutlich schwieriger ist, als sich aus der Sackgasse der Moderne herauszuwinden, in die ich hier viel zu früh geraten bin. Eigentlich müsste ich nämlich jetzt rüber ins alte Griechenland. Warum? Einfach weil es da jetzt weitergehen soll. Genauer gesagt in Athen.
Dort zeichnete ein gewisser Drakon um das Jahr 621 v. Chr. sämtliche damals in der Stadt bekannten Strafbestimmungen auf. Schon mal den Begriff drakonische Strafen gehört? Arbeitsstunden waren da vermutlich nicht vorgesehen. Wichtig war hierbei aber Folgendes: Erstmals wurde unterschieden zwischen vorsätzlicher und unbeabsichtigter Tötung und es gab Gerichte, die auf die unterschiedlichen Vergehen spezialisiert waren.
Und vom alten Griechenland aus ist es geographisch wie historisch nur ein Katzensprung zu den alten Römern. Der Legende nach hatten die um 450 v.Chr. eine Gesetzessammlung, das sogenannte Zwölftafelgesetz, das in Bronzetafeln auf dem Forum Romanum ausgestellt war. Angeblich war hierin sogar ein Schadensersatzrecht bei Unfällen formuliert. Hätte also die Kleine Blume im alten Rom gelebt, so hätte sie vermutlich nicht nur Parvus Flos oder so ähnlich geheißen, sondern auch Anspruch auf einen Widder als Schadensersatz gehabt. Verrückt diese Römer. Was die alles hatten. Aber mal ehrlich, die Typen hatten bereits Straßen, Aquädukte, Brandschutzbestimmungen und eine Feuerwehr, als man hierzulande noch mit Ziegen und Schafen das Schlafgemach teilte.
Irgendwann trampelten aber genau diese Leute mit den Schafen und Ziegen mehrfach über das alte Rom hinweg und die ganze Zivilisation war hin. Germanisches Recht mischte sich mit dem Römischen, das Christentum hielt immer mehr Einzug in die Rechtsprechung und alles dümpelte nur noch so vor sich hin, bis ins Mittelalter.
Im Hochmittelalter (ca. 1000 n. Chr bis ca. 1200 n.Chr.) gewannen auch in unserer Region die Städte immer mehr an Bedeutung und es gab viele Neugründungen. Um die Städte zum Erblühen zu bringen, gewährten die Stadtherren den vom Land Geflohenen, die in die Städte aufgenommen wurden, die persönliche Freiheit. Allerdings wurden nicht alle aufgenommen. Mit den Fürsten der umliegenden Gebiete gab es häufig Deals, dass deren Hörige und Leibeigene draußen bleiben mussten. Und natürlich wollte man nicht jedem Hungerleider Einlass gewähren, denn die Neuankömmlinge sollten ja die Stadt voranbringen. Das kommt mir irgendwie bekannt vor…
Ebenso bekannt kommt es mir vor, dass zwischen gleich und gleich gerne unterschieden wird. In den Städten der damaligen Zeit gab es den feinen Unterschied zwischen Bürgern und Einwohnern. In der Regel berechtigte der Immobilienbesitz Einwohner dazu, das Bürgerrecht zu beantragen, welches ihnen zusätzliche Rechte und Pflichten einräumte. Aber insgesamt galt der Rechtsbrauch: Stadtluft macht frei. Allerdings mit der Einschränkung: Nach Jahr und Tag. Einer Frist, die erstmals um 1220 in Eicke von Repgows Sachsenspiegel , dem ersten deutschen Rechtsbuch, schriftlich festgehalten wurde. Sie errechnete sich aus der Frist von einem Jahr, der Gerichtsfrist (Gerichte traten alle 6 Wochen zusammen) und der Dauer eines Gerichtstages von 3 Kalendertagen. Nach Jahr und Tag hieß also: Nach einem Jahr, sechs Wochen und drei Tagen. Wenn man nach dieser Zeit nicht von seinem Herrn erwischt wurde, dann war man frei. So lange soll es aber nicht dauern, bis wir wieder zum eigentlichen Thema, den Unfallverhütungsvorschriften zurückkehren. Man wird ja auch mal abschweifen dürfen. Aber so weit bin ich nun auch wieder nicht abgeschweift, wir sind ja immer noch in den europäischen Städten des Mittelalters. Dort gab es Vereinigungen, die alle Bereiche eines Handwerkerlebens organisierten: Die Zünfte. Diese waren aus heutiger Sicht kartellähnliche Vereinigungen, sie sorgten aber auch für klare Regelungen, wie Arbeiten auszuführen waren. Jedenfalls konnte da nicht jeder Heini ankommen und sagen: „Hey, für einen Teller Erbsensuppe malern mein Kumpel und ich mit Räuberleiter eure Kirche an!“ Keine Verhältnisse wie im Ostdeutschland der 1990er. Das hätte Ärger gegeben. Geregelte Arbeitszeiten, Lehrlingsausbildungsvorschriften, vergleichbare Löhne und eine Hinterbliebenenversorgung waren die Errungenschaften der Zünfte dieser Zeit. Allerdings beeinträchtigten die Zünfte auch massiv die Gewerbefreiheit. Man stelle sich das vor: Keine Pfuscher und Betrüger am Markt und die Dinge kosten einfach was sie kosten. Mittelalterlich und absurd würde man sowas heute nennen. Teilweise gibt es die Zünfte zwar bis heute, allerdings sind sie nicht annähernd mehr so mächtig und es gibt auch keinen Zwang mehr, ihnen beizutreten. Zumindest nicht mehr seit der Zeitenwende, die ich hier unbedingt noch verbraten wollte: der Französischen Revolution.
Aber das wird nichts mehr, da komme ich dann doch erst im nächsten Teil dazu. Es ist schon unglaublich, wie man doch die Glucke vom Nest tippen kann, obwohl man überhaupt keine Ahnung hat. Das wird wohl auch beim nächsten Mal wieder nicht anders. Aber aufregend wird es bestimmt trotzdem. Ich sehe das schon an der Mannschaftsaufstellung: König Ludwig XVI., Napoleon Bonaparte, Fürst von Bismarck, Kaiser Wilhelm (vermutlich sogar I & II) und bestimmt noch einige, an die ich noch gar nicht denke. Köpfe werden rollen, Kriege und Revolutionen ausbrechen. Die Geschichte der Unfallverhütungsvorschriften bleibt ein wahres Actionepos. Und das erste offizielle Unfallversicherungsgesetz in Deutschland von 1884 wird auch dabei sein. Versprochen.